Management-Trainings: Ist die Grenzerfahrung wirklich wichtig?
VON Agentur belmedia Geschäftlich
Viele Management-Trainer setzen auf einen Adrenalinschub als Voraussetzung für grosse Wirkung. Ungewöhnliche Trainings – in Schauspielkursen, in der Natur oder durch eine meditative Schweigewoche – gab es zwar schon immer, jedoch haben sich die Methoden immer stärker in Richtung Extremerfahrungen und/oder Persönliches verschoben.
Extreme Strategien für eine meinungsstarke Klientel
Die Personalexpertin Petra Schäfer schreibt auf dem Internet-Portal humanresourcesmanager.de dazu, dass es heute kaum noch eine Trainingsmethode gebe, die Führungskräfte nicht erprobt und nach nur mässigem Erfolg verworfen hätten. Für die Anbieter bedeutet dies, zu immer extremeren Strategien zu greifen. Die Folge: Viele Management-Trainings fokussieren sich auf Bereiche, in den früher persönliche Tabu-Zonen begannen. Es geht um Emotionen, Instinkte und den Sinn des Lebens – in einem zum Teil bereits übersättigten Markt, dessen Akteure sich etwas einfallen lassen müssen, um ihre meinungsstarke Klientel überhaupt noch zu erreichen.
Führungskräftetraining in der Antarktis
Das vermutlich exotischste Führungskräftetraining auf dem Markt ist eine Reise für Manager in die Antarktis. Der britische Polarforscher, Umweltschützer und Management-Trainer Robert Swan hat seit 2003 bereits mehr als 700 Führungskräfte ins ewige Eis gebracht, zu seinen Kunden gehören Unternehmen wie der Mineralöl-Konzern BP, die Metro Group und Coca-Cola. Mit seiner Organisation „2041“ engagiert sich Swan dafür, das Umweltprotokoll des Antarktis-Vertrages über das Jahr 2041 hinaus zu verlängern. Sein IAE-(Inspire Antarctic Expedition)-Programm fokussiert sich auf Teamarbeit, Führungsfragen und persönliche Entwicklung. Während der etwa zweiwöchigen Reise erleben die Teilnehmer ausserdem hautnah die Umweltschäden und die Folgen des Klimawandels in der Antarktis. Ihre Erfahrungen dokumentieren sie in Blogs im Internet. Swan schreibt auf seiner Homepage, dass kein Ort der Erde geeigneter sei, um „Führungskompetenz ultimativ herauszufordern“.
Einschneidende Erfahrung: „Dialog im Dunkeln“
Eine persönliche Extremerfahrung bietet Managern auch der „Dialog im Dunkeln“. Diese Trainingsmethode geht auf das Konzept der gleichnamigen Ausstellung und des daraus entstandenen Social-Franchise-Unternehmens zurück, die ursprünglich Sehenden die Erfahrungen blinder Menschen näherbringen wollten. Bei einem solchen Training befinden sich die Teilnehmer in einem absolut dunklen Seminarraum, bei den Übungen können sie sich nur auf ihr Gehör verlassen. Das Allianz Dialogue Training Center bietet dieses Führungskräftetraining seit einigen Jahren an.
Nach einem halben Jahr fragen die Trainer bei ihren Kunden nach, ob und wie der „Dialog im Dunkeln“ langfristig gewirkt hat – mit durchweg positiven Reaktionen. Die Leiterin des Centers, Angelika Antz-Hieber, berichtet, dass die meisten ihrer Klienten es als Schlüsselerlebnis empfänden. Die Teams gingen nach dieser Erfahrung anders miteinander um, sie würden authentischer und offener. Ein wesentlicher Punkt: Wenn die Zensur durch körperliche Reaktionen wegfällt und die Stimme zur einzigen Orientierung wird, arbeite kaum jemand auf der Grundlage von Mutmassungen weiter. Auch bei Sachthemen führe die grössere Offenheit im Dunkeln zu besseren Lern-Effekten.
Wo liegen die Grenzen zwischen Beruflichem und Privatem?
Eine unter Personalentwicklern und bei den Teilnehmern von Management-Trainings gern diskutierte Frage ist allerdings, ob und wie weit dabei persönliche Grenzen überschritten werden dürfen. Aus „konservativer“ Sicht sollte es nur um die Entwicklung klassischer Führungseigenschaften – beispielsweise Kommunikation, Entscheidungskompetenz und strategische Orientierung – gehen. Klaus Götz, Business-Coach und Professor für Personalentwicklung und Betriebspädagogik an der Universität Koblenz-Landau, hält dagegen, dass sich in der Postmoderne Berufliches und Privates in vielen Bereichen stark vermischten, wovon auch der Trainingssektor nicht unberührt bleibe.
Eine von ihm durchgeführte Studie unter Geschäftsführern kleiner und mittlerer Unternehmen belegt, dass diese einem Training mit religiösem (christlichem) oder ethischem Fokus offen gegenüberstehen. Wichtig fanden sie die Möglichkeit, in einem solchen Workshop Themen wie Ethik, Moral und Werte zu berühren. Selbstverständlich sollte sich das Coaching nicht auf die Glaubensvermittlung, sondern auf Problemstellungen aus dem Arbeitsalltag der Führungskräfte fokussieren. Götz rät Firmen, sich bei der ganzheitlichen Weiterbildung ihrer Führungskräfte nicht auf Standardtrainings zu beschränken. Lernen geschehe an Grenzen, welche die Trainer sehen müssen, jedoch nicht überschreiten dürfen.
„Weniger ist mehr“
Ein anderes Konzept verfolgt die Oxford Leadership Academy, die sich bei ihren Trainings dem Prinzip „Weniger ist mehr“ verpflichtet fühlt. Als Basis für die Teamarbeit und persönliche Veränderungen, die später auch als Kulturveränderungen in Unternehmen wirken sollen, geht es im ersten Schritt um die Menschen selbst. In Teamrunden bringen die Manager ihre Persönlichkeit und ihre individuellen Erfahrungen gegenüber ihren Mitarbeitern ein. Dabei spielen keineswegs nur arbeitsbezogene Themen, sondern auch Haltungen, Werte und persönliche Ziele oder auch private Erlebnisse und Erinnerungen eine Rolle. Das Ziel der Trainings besteht unter anderem darin, Führungswillen und authentische Führungsstile zu entwickeln, die in der Persönlichkeit der Manager verankert sind. Wichtige Führungsthemen sind heute der Umgang mit Veränderung, Motivation, Sinnfindung oder innerem Rückzug. Für die Art und Weise, wie Manager damit umgehen, sind ihre persönlichen Erfahrungen – letztlich die Höhen und Tiefen in ihrem Leben – entscheidend.
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