Wie ich aus 4000 Metern in die Tiefe stürzte - 50 Sekunden freier Fall und 200 km/h beim Tandemsprung
VON Bettina Hielscher Outdoor Sommer
Du willst unbedingt etwas in deinem Leben tun? Dann tu es – und zwar jetzt. Wenn man Menschen fragt, was sie unbedingt mal in ihrem Leben machen möchten, dann antworten viele: einen Fallschirmsprung oder einen Bungeejump.
Ich frage mich immer, worauf diese Menschen warten. Angebote gibt es viele, und wer auf den richtigen Zeitpunkt wartet, der nehme doch den jetzigen. Denn fragt man sich selbst, wann der beste Zeitpunkt ist, dann gibt es ihn nie.
Die Angst bleibt – und zwar solange, bis man sich ihr stellt und sich – in diesem Fall – an den Adrenalinkick herantraut. Denn wer nicht will, der findet Gründe, und wer will, der findet Wege. Und vielleicht ist es irgendwann auch wirklich zu spät und du bereust dann all die Dinge, die du nicht riskiert hast, wie Mark Twain so schön sagte.
Auf einem Gutscheinportal haben ein paar Freunde und ich einen solchen Gutschein für einen Tandemsprung ganz spontan gekauft, weil er im Angebot war. Bisher hatte ich nie darüber nachgedacht, ob ich unbedingt in meinem Leben mal einen Fallschirmsprung machen möchte, aber da ich Action mag, abenteuerlustig und spontan bin, kam das Angebot sehr gelegen.
Und so standen wir vor dem Abenteuer, aus 4000 Metern Höhe in die Tiefe zu stürzen. Freier Fall: ca. 50 Sekunden. Geschwindigkeit: ca. 200 km/h.
Also ging es heute auf die Reise. Das Wetter war traumhaft und nach der eineinhalb stündigen Fahrt, in der die Aufregung zunahm, je näher wir dem Ziel kamen, standen wir endlich vor dem Zentrum der Skydive Nuggets im Allgäu. Nach der Anmeldung mussten wir noch eine Weile warten. Wir sonnten uns auf der Terrasse vor der Anlage und spekulierten wild, wie der Fall denn sein würde und wie wir uns dabei fühlen könnten (nein, welch sinnvolle Gedanken!).
Dann ging es los (nachdem alle Mädels noch vorsichtshalber schnell aufs Klo gerannt sind). Mit Herzklopfen lauschten wir der ca. 15-minütigen Einweisung, in der der Ablauf und die Verhaltensregeln beim Absprung, während dem Flug und bei der Landung, erklärt wurden.
In einer grossen Halle wurden wir mit unserem persönlichen Tandemmaster bekannt gemacht (Hi, Radu, ich grüsse dich!) und von ihm mit einem Ganzkörperanzug eingekleidet.
Mein Guide war so „witzig“, dass er mir erzählte, was für schreckliche Sachen ihm schon passiert seien … In Folge dessen war ich „beruhigt unruhig“: Was kommt da auf mich zu und will ich das wirklich? (Ja! Ja! Ja!)
Unsere grosse Gruppe wurde leider getrennt, weil wir nicht alle in ein Flugzeug passten, und so wartete ich mit ein paar anderen, während der erste Teil gen Himmel flog.
Wir nahmen die Adrenalinjunkies nach einer schier endlos langen Zeit ungeduldig in Empfang und wollten alles wissen. Aber für das Feedback brauchte es keine Worte …
Dann ging’s für uns los ins kleine Flugzeug auf einen ca. 10-minütigen Steigflug auf 4000 m Höhe. Die Reihenfolge war klar, denn wir sassen wie Ölsardinen in zwei Reihen hintereinander auf dem Boden der kleinen Maschine und konnten nur nacheinander aussteigen. Aussicht: schön. Wirklich schön! (Aber gerade unwichtig. Ich war viel zu sehr mit meinem Innenleben beschäftigt). Adrenalin: steigend. Angst: steigend. Und Flugzeug: immer noch steigend! (Uah, Stop!) Wir wurden an unsere Tandemmaster geschnallt und sassen nun hinter- und aneinander und warteten darauf, dass die Absetzhöhe erreicht war. Vor mir sassen vier Personen, die zuerst an der Reihe waren und sich in Richtung Tür positionierten.
Der Zeitpunkt war gekommen!
Mann, war das hoch! Ich hatte so viel Adrenalin in mir, dass ich kaum atmen konnte. Als die Flugzeugklappe aufging und der starke Wind an der offenen Tür rüttelte, wurde mir fast schlecht. Vor mir begaben sich die vier Verrückten (Sind die irre? Da runterspringen?) an den Ausgang. Die machten das schon länger, lachten, winkten und waren weg. Flups. Runtergefallen. Ging ganz fix.
Dann war der Weg frei für mich, und der Blick nach draussen und nach unten offenbarte mir die tatsächliche Höhe von 4000 Metern. Ich lachte auch – aber aus Angst (eigentlich wollte ich weinen). Wir robbten an den Rand und liessen unsere Füsse aus dem Flugzeug hängen. (Hilfe!) Zum Glück musste ich nicht selbst springen – die Überwindung, sich selbst da runterzustürzen, ist echt riesig. Aber dafür hatte ich ja meinen festgeschnallten Guide bei mir. Meine Arme hatte ich um meinen Brustkorb geschlungen und meinen Kopf nach hinten an Radus Schulter gelegt. So waren wir bereit für den Absprung.
Ich spürte sein Gewicht gegen mich drücken und wir stürzten in die Tiefe.
Sonne. Himmel. Flugzeug. Erde. Himmel. Sonne. Wo geht’s hier bitte nach geradeaus?
Unsere trägen Körper wirbelten erst einmal durch die Luft und schlugen einen Purzelbaum, ehe die Erdanziehungskraft uns in die richtige Position brachte und uns mit starker Kraft an sich zog. Nun durfte ich die Arme ausstrecken und geniessen! War das geil! Ich kann es nicht in Worte fassen! Ein unbeschreiblich geiles Gefühl, im freien Fall auf die Erde zu stürzen.
Die Geschwindigkeit von 200 km/h kam mir gar nicht so schnell vor, weil sich die Erde irgendwie eher langsam auf uns zubewegte (ach nein: wir auf sie). Die knappe Minute war viel zu schnell vorbei, als wir die Höhe von nur noch 1500 Metern erreichten. (Laaangweilig. Voll niedrig.) Radu öffnete den Fallschirm und wir wurden mit einem starken Ruck unangenehm in dessen Seile zurückgeworfen. Mein Ohr tat weh. Den rapiden Verlust an Höhenmetern konnte ich nicht schnell genug ausgleichen. Ich ignorierte das und machte es mir in den Gurten bequem und genoss nun den langsamen ca. 10-minütigen Flug mit Blick auf das schöne Alpenpanorama, den Bodensee und die Wälder und Wiesen.
Radu erlaubte sich mal wieder einen Spass und zog kräftig an der rechten Leine des Fallschirms (quasi das Lenkrad des Fallschirms). Wie ein Kreisel rotierten wir in einem Mini-Radius um unsere eigene Achse. Ich fand das lustig. Dann doof (weil mir schlecht wurde). Dann hat er aufgehört und genauso stark an der linken Leine gezogen. Kreisel mit Rotation links war angesagt (ich fand das immer noch doof). Ich wollte lieber die Aussicht geniessen und durfte das nach wenigen Sekunden zum Glück auch wieder. Meine Eingeweide drehten sich aber irgendwie immer noch im Kreis.
Die Erde näherte sich und mit ihr unser Landeplatz: die grosse Wiese vor dem Haus des Sportzentrums. Wie wir in der Einführung gelernt haben: auf dem Popo landen. Das taten wir. War auch wirklich nicht holprig oder unangenehm, weil wir sachte zu Boden kamen. Dann ging es ans Abschnallen und daran, der riesigen Freude irgendwie Ausdruck zu verleihen.
Mein Ohr tat noch lange Zeit danach ziemlich weh und der Druck hat sich erst ein paar Stunden später ganz gelöst. Das war das einzig wirklich Unangenehme. Aber der Rest war absolut … you know!
Es war gigantisch. Es war grandios. Es war Wahnsinn!
Mein Tipp: Mach du das auch!
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