Das Erntedankfest – ein weltweiter Feiertag
VON Andrea Hauser Familie Privat
Grundsätzlich gibt es aufgrund der verschiedenen klimatischen Verhältnisse keinen einheitlichen Termin für das Erntedankfest. In der vorchristlichen Zeit fand das Erntedankfest zur Tagundnachtgleiche statt. Die Menschen brachten den Göttern Opfer dar, um sich für die Ernteerzeugnisse zu bedanken. Als Vorbild für unser heutiges Erntefest diente das jüdische Laubhüttenfest, welches allerdings nicht primär den Dank für die Ernte zum Gegenstand hat. In Mitteleuropa kann man Belege für Erntedankfeste – möglicherweise durch das jüdische Sukkot beeinflusst – bis ins 3. Jahrhundert nach Christus zurückverfolgen.
Die Griechen ehrten mit dem Thesmoshoria-Fest am Beginn des Herbstes die Göttin Demeter. Die Feierlichkeiten erstreckten sich über drei Tage und wurden mit einem grossen Fest beendet, bei dem der Göttin zahlreiche Geschenke dargebracht wurden. Ein ähnliches Fest gab es im alten Rom zu Ehren der Göttin Ceres.
Die alten Ägypter feierten zu Ehren des Fruchtbarkeitsgottes Min mit einem grossen Umzug und einem rauschenden Fest. Überlieferungen zufolge nutzten die ägyptischen Bauern bei der Ernte einen ganz besonderen Trick, um die angeblich im Getreide lebenden Geister zu besänftigen: Während des Schneidens der Halme weinten sie sicherheitshalber, damit die Geister dachten, es tue ihnen leid.
In der heutigen Zeit haben sich in den unterschiedlichen Kulturen zahlreiche Traditionen und Bräuche entwickelt, mit denen die Menschen sich von einem schönen Sommer verabschieden und um einen reichen Ertrag für das kommende Jahr bitten.
In der Schweiz gibt es vielfältige Rituale, um für die reichen Gaben zu danken: Der traditionelle Alpabzug, der Chästeilet oder die Sichlete sind einige der beliebtesten. Mit vielfältigen Feierlichkeiten verabschieden die Gemeinden den Sommer und stimmen sich auf den kommenden Winter ein. Mit einem fröhlichen Fest feiern Berner Bäuerinnen und Bauern den Alpabzug rund um den Bundesplatz in Bern und bringen Natur in die Hauptstadt. Bunt mit Bändern und Blumen geschmücktes Vieh wird hinab ins Tal getrieben.
Nach Angaben des Landwirtschaftlichen Informationsdienstes LID leitet sich der Name Sichlete aus der Tatsache ab, dass man früher das Getreide sehr mühsam mit der Sichel geschnitten hat. Zum Dank wurden Knechte und Mägde nach getaner Arbeit von ihren Herren für die harte Arbeit belohnt und konnten nach der Ernte drei Tage lang nach Herzenslust essen und trinken.
In Deutschland wird Erntedank in den Kirchen in der Regel an einem Sonntag im Oktober gefeiert. Viele Gemeinden wählen dafür den ersten Oktobersonntag. Mit verschiedenen Ritualen und Bräuchen danken die Menschen für das Einbringen einer guten Ernte. Häufig runden Festumzüge mit Musik die Feierlichkeiten ab. Die Kirchen nutzen den Erntedanktag, um für bestimmte Projekte um Spenden zu bitten. Der Altarraum in den Kirchen ist reich geschmückt – häufig werden die Spenden und Gaben hier abgelegt. Auch im Nachbarland Österreich wird das Fest in ähnlicher Weise gefeiert. In einigen Orten finden prächtige Prozessionen statt.
In einigen Regionen gehört die traditionelle Erntepuppe aus Stroh zum Erntedankfest. Aus den letzten Strohgarben wird eine Puppe hergestellt, die geschmückt auf dem Feld stehen bleibt. Eine ähnlich lange Tradition hat die Erntekrone, die aus Getreideähren und Blumen geflochten wird. In vielen Gemeinden gehört das Flechten der Krone zum alljährlichen Ritual.
Die Amerikaner feiern Erntedank erst am vierten Donnerstag im November. Thanksgiving ist einer der wichtigsten Feiertage in den USA – hier kommt in der Regel die gesamte Familie zu einem grossen Treffen zusammen. Es heisst, an diesem wichtigen Tag dürfe keiner allein zu Hause sein.
Die Idee geht zurück auf die ersten Siedler in der Neuen Welt. Im Jahr 1621 sollen in Neuengland einige Pilgerväter gemeinsam mit einheimischen Indianern eine Ernte, die sie sicher über den Winter bringen würde, gefeiert haben. Das Fest etablierte sich in den kommenden Jahren und wurde im Jahr 1817 in New York als offizieller Feiertag eingeführt. Der landesweite Termin im November wurde im Jahr 1863 festgelegt.
In den Vereinigten Staaten hat sich der gefüllte Truthahn als klassisches Thanksgiving-Essen etabliert. Jede Familie bereitet eigene traditionelle Gerichte zu, die Rezepte werden dabei von Generation zu Generation weitergegeben.
Der Freitag nach Thanksgiving wird auch als „Black Friday“ bezeichnet. Viele Amerikaner nehmen sich an diesem Brückentag frei und kaufen Weihnachtsgeschenke ein. Die Geschäfte locken an diesem Tag mit besonders günstigen Rabatten und in allen amerikanischen Einkaufsstrassen herrscht ein reger Andrang.
Im Judentum feiert man zum Beginn und zum Ende der Ernte. Beim Schawuot wird die erste Ernte des Jahres gefeiert, während das Sukkot oder Laubhüttenfest am Ende auch zum Dank für die gesamten Ernteerträge stattfindet. Hauptziel von Sukkot ist allerdings, Israel daran zu erinnern, dass das Volk beim Auszug aus Ägypten in der Wüste in Laubhütten wohnen musste. Die Feierlichkeiten dauern sieben Tage.
In Japan gibt es am 23. November einen Feiertag, der sich aus dem kaiserlichen Erntedankfest entwickelt hat. Damals gebührte der erste frisch geerntete Reis den Göttern. Die Japaner feiern heute traditionell den „Tag des Dankes für die Arbeit“.
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