Gefährlich, nicht nur für Leistungssportler: Übertraining
VON Christine Praetorius Alles Sport
Bei jedem Training ist der erhoffte Erfolg die Anpassung des Körpers an die jeweilige Trainingsbelastung. Sowohl die körperliche als auch die mentale Leistungsfähigkeit sollen durch diese Adaption langfristig steigen. Wer aber zu viel trainiert oder sich zwischendurch nicht richtig erholt, riskiert ein Übertrainingssyndrom.
Bei einem Übertraining reagieren Körper und Geist genau anders herum als erwartet: Statt Muskelmasse, Ausdauer oder Motivation aufzubauen und zu verbessern, lässt die Leistung trotz der Trainingsreize immer mehr nach. Weil solche Überlastungszustände schwer zu diagnostizieren und zu behandeln sind, stellt das Übertraining eine grosse Herausforderung für Trainer und Sportmediziner dar.
Wie erkennt man das Übertrainingssyndrom?
Übertraining ist mit einfacher Überanstrengung nicht zu vergleichen. Wenn ein vergleichsweise untrainierter Mensch, der im Sitzen arbeitet und selten Sport treibt, durch besondere Umstände, etwa beim Umzugstermin, einen Tag lang körperlich hart arbeiten muss, ist zumindest der Muskelkater am Folgetag vorprogrammiert.
Sportmedizinisch gesehen war in diesem Fall der Trainingsreiz einfach zu hoch: Der Organismus war nicht darauf vorbereitet, schwere Kisten zu schleppen, und wahrscheinlich wurden dabei auch jede Menge falscher Bewegungen gemacht. Ein geübter und erfahrener Möbelpacker hingegen hat sich mit der Zeit nicht nur die entsprechende Muskelmasse antrainiert, sondern weiss auch, wie er die Gegenstände richtig anfassen, heben und tragen muss, damit die Statik stimmt und die Arbeit so effektiv und schonend wie möglich vonstattengeht.
Vom Übertrainingssyndrom, abgekürzt UTS, sind jedoch trainierte Hobby- oder Leistungssportler betroffen – Menschen, deren Trainingsreize geplant und kontrolliert gesetzt und kontinuierlich gesteigert werden. Je professioneller die sportliche Betätigung, desto wahrscheinlicher werden die Trainingseinheiten auch von Experten begleitet, etwa einem Personal Trainer, Physiotherapeuten oder Ernährungsberater. Die Erfolge werden zudem genau dokumentiert, denn bei professionellem Training gibt es wie bei Businessprojekten Ziele, die in einer vorher bestimmten Zeit erreicht werden sollen. Grössere und kleinere Zwischenziele, die ebenfalls ihre Zeitrahmen haben und logisch aufeinander aufbauen, strukturieren den Weg dorthin und sorgen dafür, dass die Motivation nicht nachlässt.
Die Sportmedizin weiss mittlerweile sehr genau, wie ein Training geplant und organisiert werden muss, damit es in der gewünschten Zeit die gewünschten Effekte bringt. Umso ratloser fühlen sich daher Sportler und auch Trainer, wenn der Organismus sich plötzlich nicht mehr weiter wie geplant an den gesetzten Trainingsreiz anpassen will und die Leistungskurve stattdessen stagniert oder sogar rapide abfällt.
Oft werden zuerst ganz andere Ursachen vermutet, etwa eine beginnende Krankheit, eine nicht entdeckte oder nicht richtig verheilte Verletzung oder eine mentale Blockade, ausgelöst zum Beispiel durch Angst vor einem Wettkampf oder familiäre Probleme. Um zuallererst einmal sicherzustellen, dass keine organische Erkrankung vorliegt, wird eine sogenannte Ausschlussdiagnose gestellt: Konnten alle anderen möglichen Krankheiten mit ähnlichen Symptomen ausgeschlossen werden, liegt ein Übertrainingssyndrom vor.
Die Feststellung einer Erkrankung mit multifaktoriellen Ursachen durch Ausschluss anderer Erkrankungen ist schwierig – viel leichter und sicherer ist es, eine Krankheit anhand eines nur dabei auftretenden Symptoms feststellen zu können. Darum gilt das Diagnostizieren und Behandeln des Übertrainingssyndroms auch als Herausforderung für Sportler, Trainer und Sportmediziner.
Symptome des Übertrainings
Es gibt eine ganze Reihe von Symptomen, die für ein Übertrainingssyndrom sprechen können, aber nicht müssen. Dazu gehören:
- Schmerzen bzw. Beschwerden an Muskeln und Bändern,
- Kopfschmerzen,
- Schlafstörungen,
- Stress, Reizbarkeit und nervöse Unruhe,
- erhöhte Anfälligkeit für Infektionserkrankungen,
- erhöhter Ruhe- und Belastungspuls sowie
- erhöhte Laktatwerte.
Es gibt bestimmte physiologische Veränderungen, die auf Übertraining hinweisen, etwa erhöhte Harnstoff- oder Kreatinkinasewerte im Blut oder veränderte Plasmaspiegel einzelner Hormone wie Cortisol, Katecholamin und Testosteron. Doch existieren keine verlässlichen Parameter, anhand derer ein Labortest das Übertraining eindeutig bestätigen könnte.
Wer trotz Übertrainingssymptomen weiter trainiert und auf die Warnzeichen seines Körpers nicht reagiert, riskiert weitere unangenehme Begleiterscheinungen, etwa Ermüdungsbrüche (Frakturen) oder Depressionen, weil das Training keinen Spass mehr macht und sich trotz der Quälerei keine Erfolge mehr einstellen wollen.
Zwei unterschiedliche Arten des Übertrainings
Das Übertrainingssyndrom kann in eine sympathikotone (erregende, erregte) und eine parasympathikotone (hemmende, gehemmte) Form unterteilt werden. Beim selteneren sympathikotonen Übertraining reagiert der Sportler mit Hyperaktivität: Er verhält sich aufgedreht und übersteuert, während seine Leistungskurve stagniert. Bei medizinischen Untersuchungen zeigen sich erhöhte Laktatwerte und eine höhere Herzfrequenz – es wird also mehr Energie als sonst aufgewendet, um die Belastungen zu bewältigen.
Diese Übertrainingsform ist vergleichsweise einfach zu überwinden und dauert daher meist kürzer an. Schwieriger wird es beim parasympathikotonen Übertraining: Es ist ärmer an deutlichen Symptomen und gleicht anfangs einem vorübergehenden Erschöpfungszustand. Der Betroffene fühlt sich ausgepowert, könnte die ganze Zeit nur schlafen, hat auf fast nichts mehr richtig Luft und entwickelt zunehmend ein phlegmatisches oder sogar depressives Verhalten.
Oft beginnt das Übertraining mit der sympathikotonen Form und geht dann fliessend in die riskantere und nachhaltigere parasympathikotone Form über. Daher wird häufig auch von einer ersten und einer zweiten Phase gesprochen. Um die zweite Phase erst gar nicht zu erreichen, ist es wesentlich, Übertraining so rasch wie möglich festzustellen und gezielt gegenzusteuern.
Ursachen
Diese Faktoren können ambitionierte Breiten- und Profisportler ins Übertraining:
- zu schnelle Steigerung von Trainingsumfang und -intensität,
- zu häufige oder zu rasch hintereinander folgende Teilnahme an Wettkämpfen,
- zu kurze Regenerationsphasen zwischen den Trainingseinheiten (der neue Reiz wird gesetzt, bevor die Anpassung an den vorhergehenden abgeschlossen ist),
- verfrühter Wiedereinstieg nach Verletzungspausen,
- privater oder beruflicher Stress sowie
- eine nicht an Training bzw. Sportart angepasste oder einseitige Ernährung.
Massnahmen
Die beste Massnahme gegen das Übertrainingssyndrom ist die Vorbeugung. Die Hauptrollen dabei spielen eine schnelle und vollständige Regeneration sowie eine belastungsbezogene Ernährungsweise. Wer trotzdem Übertrainingssymptome bemerkt, sollte das Training sofort deutlich reduzieren – und erst nach dem Abklingen der Symptome mit kurzen und regenerativen Belastungen im aeroben Bereich wieder einsteigen.
Die Wichtigkeit der richtigen Ernährung für den Trainingserfolg wurde lange unterschätzt. Da körperliche Belastungen ab einer Dauer von etwa 90 Minuten zu einer vorübergehenden Unterdrückung der Immunfunktionen führen, muss der Körper in den Regenerationsphasen die richtigen Nährstoffe bekommen, um sein Immunsystem zu stärken und langfristig stabil zu erhalten – vor allem ausreichend Kohlenhydrate, Vitamine und Mineralien. Bekommt er sie nicht oder zu spät, machen die Anstrengungen nicht stärker, sondern vor allem anfälliger – für Verletzungen, Infektionen oder auch ein Übertraining.
Fazit: Trainieren ist gesund und vermittelt viele Erfolgserlebnisse. Doch zu viel oder zu intensives Training kann zum gefürchteten Übertrainingssyndrom führen. Das ist schwer zu diagnostizieren und oft schwierig zu überwinden, daher ist Vorbeugen die beste Gegenmassnahme.
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